Türkische Musiktherapie und Deutsche Homöopathie. Alternativmedizin
Türkische Musiktherapie: Kann Musik heilen, und können Rhythmen oder Melodien vor Krankheiten schützen?
In diesem Artikel geht es nun um zwei Vertreter alternativ-medizinischer Behandlungsmethoden jenseits der Schulmedizin. Das Thema „Gesundheit und Heilpraktiken“ habe ich mir ausgesucht, weil ich Pharmazie studiert habe und mich sehr stark für diesen Bereich interessiere. Und die deutsche Homöopathie und die türkische Musiktherapie – da ich beide Kulturkreise bestens kenne und dem multikulturellen Dialog durch meine Erfahrungen einen Beitrag leisten will. Die deutsche-türkische Freundschaft hat eine sehr lange Tradition, so weiß ich es von den Geschichtsbüchern (vgl. Bagdadbahn 1903), aber auch aus erster Hand von meinem Urgroßvater. Durch diesen Artikel möchte ich neben der Vermittlung allgemeiner Informationen über die beiden Heilpraktiken auch unsere Gemeinsamkeiten hervorheben. Zunächst einmal erfolgt eine kleine Einführung zu Heilpraktiken und zur Homöopathie, bezogen auf ihren Ursprung, die ihr zugrunde liegende Theorie und ihre heutige Anwendung. Im Anschluss daran folgen dann detaillierte Informationen zur türkischen Musiktherapie.
Alternativmedizinische Heilmethoden in verschiedenen Kulturkreisen
Schon seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte versuchten Menschen im Rahmen ihrer Möglichkeiten und kulturellen Besonderheiten mit den verschiedensten Theorien und Behandlungsmethoden das Wohlbefinden der Menschen zu fördern oder Krankheiten zu heilen. Ob man dabei nur die bösen Geister vertreiben oder die positive Energie wiederherstellen wollte – unsere Welt beherbergt eine Vielfalt buntgemischter kultureller Elemente und ebenso viele alternative Heilpraktiken. Doch interessant ist hierbei: Was trieb diese Menschen dazu, solche Theorien zu entwickeln? Und warum fanden diese alternativmedizinischen Methoden so viele Anhänger? Steckt wirklich etwas dahinter, oder ist es nur Hokuspokus?
Die Homöopathie kommt aus Deutschland
Wenn es um alternativmedizinische Behandlungsmethoden geht, so dürfte in Deutschland die Homöopathie ohne Zweifel eine der bekanntesten sein. Auch in der Türkei wird die Homöopathie immer beliebter. In den Apotheken gibt es verschiedenste homöopathische Arzneimittel in Form von Salben, Tabletten sowie anderen Darreichungsformen. Gründervater der Homöopathie war der deutsche Arzt Samuel Hahnemann – er war es, der zunächst, im Jahr 1796 seine Vorstellungen und Werke veröffentlichte, die heute noch weitgehend für die Homöopathie gültig sind. Hahnemanns Homöopathie beruht auf dem Ähnlichkeitsprinzip – Ähnliches ist mit Ähnlichem zu behandeln. Man solle ein solches Arzneimittel für den Patienten auswählen, das bei einem gesunden Menschen ähnliche Krankheitssymptome hervorrufen würde wie bei dem Erkrankten. Vielen Anwendern ist in diesem Zusammenhang auch die sogenannte Erstverschlimmerung ein Begriff, sie bedeutet eine kurzzeitige Verstärkung der Erkrankungssymptome. Da aber viele Homöopathika wie zum Beispiel der Blaue Eisenhut (lat. Aconitum napellus) äußerst giftig sind, werden bei der Herstellung zunächst viele Grundsubstanzen einer Potenzierung unterzogen. Unter einer Potenzierung versteht man die Verdünnung der Grundsubstanzen und die damit angeblich verbundene Dynamisierung des Arzneimittels. Hahnemann glaubte weiter, dass erst durch die Potenzierung, die im Wirkstoff verborge geistige Kraft sich entfalten könne. Monographien und Indikationen dazu sind im HAB, dem Homöopathischem Arzneibuch aufgeführt.
Evidenzbasierte Medizin (EbM) lehnt die Homöopathie
Seitens der heutigen Evidenzbasierten Medizin (EbM), also der auf Beweismaterial gestützten Lehre, wird die Homöopathie weitgehend abgelehnt. Einige Kreise gehen sogar so weit und betrachten die Homöopathie nur als ein Ritual statt als Heilmethode. Die Begründung: es gibt nicht genügend klinische Studien zur Homöopathie bezüglich ihrer pharmakologischen Wirksamkeit. Auch die relativ gesehen wenigen klinischen Studien, die durchgeführt wurden, konnten keine signifikante Wirksamkeit homöopathischer Arzneimittel nachweisen. Die Schwierigkeit ist folgende: Für klinische Studien, in der die Wirksamkeit und die Sicherheit eines Arzneimittels untermauert werden soll, braucht man in der Regel tausende Patienten und die Kenntnis über die Langzeitauswirkungen. An Patienten, die an Krebs erkrankt sind, wird man unmöglich mit homöopathischen Arzneimitteln testen oder sie für klinische Studien heranziehen können. Das gilt ebenso für an Hepatitis sowie an HIV-Viren erkrankte Patienten. Dieses Risiko würden viele Patienten, aber auch ihre Familien nicht eingehen wollen.
Homöopathie reine Glaubenssache?
Tatsächlich hat die Homöopathie in unserem Zeitalter sehr viele Kritiker. Dennoch werden in Deutschland jährlich knapp 700 Millionen Euro durch homöopathische Arzneimittel umgesetzt, und über ein Drittel der Deutschen Bevölkerung hat schon homöopathische Arzneimittel verwendet. Die Hälfte des weltweiten Homöopathie-Marktes entfällt dabei auf Europa. Viele Befürworter schwören auf die Homöopathie. Ist die Homöopathie also doch wirksam, oder ist es ein Placebo-Effekt und nur reiner Hokuspokus? Wie genau denkt, glaubt und handelt ein Mensch ? Gibt es Analoga auf dieser Welt, also glauben Menschen aus anderen Kulturkreisen auch an verborgene Kräfte oder vielleicht sogar an übernatürliche Kräfte? Gehen wir nun über zur Musiktherapie.
Einleitung Türkische Musiktherapie
Kann Musik heilen, und können Rhythmen oder Melodien vor Krankheiten schützen? Vielleicht kann man auf diese Frage, auch heute, keine präzise Antwort geben, dennoch hat die Musik einen bemerkenswerten Platz unter den alternativmedizinischen Behandlungsmethoden gefunden. Vor allem in unserer heutigen modernen Psychotherapie wird die Musik immer häufiger zu therapeutischen Zwecken genutzt. Die Musiktherapie soll den Geist, die Seele und schließlich auch die körperliche Gesundheit fördern. Es werden zwei übergeordnete Formen der Musiktherapie unterschieden. Einmal die aktive Musiktherapie, in der der Patient unmittelbar selber bei der Erzeugung der Musik involviert ist oder in Begleitung zu den Melodien Bewegungen ausführt oder dazu tanzt. Die zweite übergeordnete Form ist die rezeptive Musiktherapie, bei der der Patient nichts anderes macht, als der Musik zuzuhören, die ihm vorgespielt wird. Dies ist auch die älteste Form der Musiktherapie, die bereits vielen Urvölkern unserer Welt bekannt war und zu der ich im weiteren Verlauf dieses Artikels näher Stellung nehmen will.
Musik ist die Nahrung der Seele. „Müzik ruhun gıdasıdır „. Vor allem Musik die das Herz berührt. – Altes türkisches Sprichwort
Türkische Musiktherapie: Hüseyni Makam – Beispiel: Hüseyni Sema von Dimtiri Cantemir/Kandemiroglu * 1673 gegen zu hohem Fieber und für Zufriedenheit – Videoquelle und Beispiel: Youtube
Die Schamanen und ihre Heilrituale
Die Heilkraft der Musik war bereits in vorislamischer Zeit bei den naturverbundenen schamanischen Turkvölkern, den antiken Römern, Griechen und Ländern Zentralasiens bekannt. Zentralasien nannte man und nennt man immer noch Turkestan – das Land der Türken. Hier haben türkische- sowie turkemische Stämme, Usbeken, Krigisen und Uiguren ihre Heimat. Musikinstrumente, Rhythmen und Tänze waren fester Bestandteil schamanischer Heilrituale. Schamanen sind eine Art Vermittler zwischen den Welten, die mit den Geistern in Kontakt treten, um für die Familie oder den Stamm nützliche Ziele zu erreichen. Der Schamane glaubte an eine Urkraft – einen Lebensstrom, der eine Verbindung zwischen den Urahnen, der sichtbaren Welt und der Natur ermöglicht, was die Grenzen der menschlichen Wahrnehmungsfähigkeit überschritt. Sein Name leitet sich aus dem tungusischen Wort šaman ab – einer altaischen Sprachfamilie. Jedoch ist die etymologische Herkunft bis heute noch nicht vollständig geklärt. Was aber am plausibelsten erscheint, ist die Bedeutung des Verbes Scha (ša) – was so viel wie „denken“ oder „wissen“ heißt. Der Schamane ist also jemand, der wissend ist. Daher genossen sie in der Bevölkerung großen Respekt und besonderen Stellenwert.
Krankheiten als Launen der bösen Geister
Krankheiten und Unwohlsein sahen die Schamanen als Launen der Geister. Durch die Rituale sollten die Menschen in einen tranceartigen Zustand versetzt werden und gleichzeitig eine Verbindung mit der „anderen Welt“ herstellen, damit die bösen Geister, die für alles Übel verantwortlich sind, beseitigt werden. Schließlich sollte mit übernatürlicher Hilfe der guten Geister Gutes geschehen und beispielsweise der Erkrankte Genesung erhalten. Weitere Aufgaben der Schamanen waren außerdem, die Geister um Glück und Schutz zu bitten sowie Regen und Blitzrituale auszuführen, um das Gleichgewicht der Natur wiederherzustellen.
Naturverbundene Nomaden und ihre Musik
Die Turkvölker waren seit jeher traditionell ein Nomadenvolk – dies erklärt ihre tiefe Naturverbundenheit. Die häufig in Stämmen organisierten Nomaden konnten nur mit der Natur und nicht gegen sie überleben. Gök Baba – Toprak Ana; Vater Himmel – Mutter Erde: Ihre Musik Rhythmen und Bewegungen waren stets harmonisch im Einklang mit der Natur, die zugleich auch ihre größte Inspirationsquelle darstellte. Nachdem die ersten Turkvölker um das 8. Jahrhundert ihren ersten Kontakt mit dem Islam hatten und diese Religion auch annahmen, bewahrten sie noch einige ihrer schamanischen Rituale und Traditionen.
Die Theorie der Türkischen Musiktherapie und die Universelle Harmonie
Laut ältesten türkischen Quellen wurde die Geburtsstunde des Kosmos durch einen Klang eingeleitet. Gemeint ist damit ein göttlicher Klang oder eine göttliche Stimme. Dieser Gedanke wird auch im islamischem Glauben durch verschiedene Verse im Quran untermauert: „Wenn ER etwas beschlossen hat, sagt Er nur, Sei‘“ und Es ist“ (Qur’an, Bakara 2/117). Dies spielte eine wichtige Rolle bei der Annahme, durch Musik Krankheiten heilen zu können. Die Suche nach Heilung hing auch von der Idee der universellen Harmonie ab. Durch die Harmonie der Sphäre, die Bewegung der Sterne und weitere Elemente entstehe eine nicht hörbare kosmische Musik. Pythagoras war der erste, der diese Theorie entwickelte. Der Mensch ist Teil dieser universellen Harmonie, und man sah im menschlichen Körper viele Parallelen zu den Himmelskörpern. Kleinste Schallschwingungen der Musik sollten einen kranken Teil des Körpers beeinflussen und die Harmonie zwischen Körper und Seele wiederherstellen, was dann schließlich zur Gesundheit führen sollte.
Systematische Anwendung der türkischen Musiktherapie
Darüşşifa oder ŞİFAHANE – übersetzt heißt es Heilstätten. So nannte man damals auf türkisch Krankenhäuser. Evliya Çelebi (*1611-1683) berichtet in seinem Buch Seyahatnâme, was „Reisebuch“ bedeutet, über seine Reisen im Osmanischen Reich und Nachbarländern. Dabei hält er alles fest was ihm wichtig erscheint. Sein zehnbändiges Buch umfasst vor allem Themen wie regionale Traditionen, Menschen, Religionen sowie Gebäude und Sprachen. Die Seyahatnâme gehört zu den wichtigsten Büchern der Türkischen Literatur. In der Zeit des Mittelalters wurde die Musik der Schamanen weiter angewandt und sogar systematisch erweitert. Wichtige Quellen und Informationen liefern uns Zakariya al-Razi (854-932), Farabi (870-950) und İbni Sina (980-1037), alles namhafte islamische Ärzte, Naturwissenschaftler und Philosophen. So untersuchte Muhammed bin Abdullah al-Bahili, der erste Chefarzt, der zugleich auch ein Musiker war, im Nureddin prachtvolles Krankenhaus (erb. 1154) in Damaskus, die Auswirkungen der Musik auf seine Patienten. Angewandt wurde die Musiktherapie aber auch in den Krankenhäusern in Kayseri (1206), Sivas Divriği (1228), Amasya (1309), Istanbul Fatih (1470), Edirne (1488) sowie in Süleymaniye Istanbul (1556). Berühmt ist hierbei der Krankenhauskomplex von Sultan Bayezid in Edirne – der ehemaligen zweiten Hauptstadt des Osmanischen Reiches. Hier wurden in der Zeit des Mittelalters vor allem geistig behinderte Kinder und viele Krankheiten behandelt. Der osmanische Schriftsteller Evliya Çelebi schreibt in seinem Reisebuch (Seyahatnâme) aus dem Jahr 1664 über das Krankenhaus in Edirne Folgendes:
„In dem Krankenhaus des verstorbenen Bayezid, Gott hab ihn selig, finden Kranke Heilung, Traurige Trost und Wahnsinnige Seelennahrung, dreimal in der Woche therapieren sie Kranke wie auch Verrückte in zehn abgetrennten Räumlichkeiten. Der einer spielt die Ney Flöte, ein anderer Santur, der andere eine Oud und ein weiterer singt.“ An einer anderen Stelle schreibt Çelebi, dass die Therapie mit fließendem Wasser und herrlich duftenden und schönen Blumen unterstützt wurde: „Vor allem im Frühling geben sie den Patienten schön duftende Blumen wie Jasmin, Nelken, Tulpen, Rosen und heilen so, begleitet von passender Musik, die Patienten.“
Tatsächlich ist das Krankenhauskomplex von Bayezid II. ein mystischer Ort. Brunnen mit geheimnisvollen Formen erzeugen beruhigende Klänge. Das Krankenhaus war seinerzeit auch klimatisiert.
Darüşşifa oder ŞİFAHANE – übersetzt heißt es Heilstätten. So nannte man damals auf türkisch Krankenhäuser.
Weitere wichtige historische Quellen zur türkischen Musiktherapie sind die osmanischen Schreiber und Komponisten Ali Ufki, alias Albertus Bobovius (1610-1675), und Kantemiroǧlu (Prince Dimitrie Cantemir) sowie die Ärzte Hasan Şuuri und Hekimbaşı Gevrekzade Hafız Hasan Efendi (*1724-1801). Cantemir hat selbst Kompositionen geschrieben, die später auch bei der Musiktherapie verwendet wurden.
In meinem Krankenhaus soll es neben schönen Dingen für das Auge, wie Rosengärten, Springbrunnen und Wasserspiele sowie gesunder Ernährung auch Musik geben. Von den 167 Angestellten des Krankenhausens sollen 19 Musiker sein. Diese sollen Kranke und Bedürftige mit der Musik heilen. – 1486: aus der Stiftungsurkunde( Vakfiyye) von Sultan Bayezid II .
Dimitrie Cantemir, türkisch: Kantemiroglu wurde im Jahre 1673 in Silişteni, im heutigen Rumänien, als Sohn von Constantin Cantemir, dem Fürst von Moldawien geboren. Dimitrie Cantemir war selber, in den Jahren 1693 und 1710, zweimal Fürst von Moldawien. Außerdem war er ein Ethnograph, Musikwissenschaftler, Linguist und Enzyklopädist sowie ein Geograph. Besonders seine Werke im Bereich der klassischen Osmanischen Musik gelten heute als wichtiges historisches Erbe. In seinem Buch Kitâbu ‚Ilmi’l-Mûsikí alâ Vechi’l-Hurûfât, türkisch für „ Das Buch der schriftlichen Musikwissenschaft“ schreibt er über zeitgenössische osmanische Melodien, Rhythmen, Makame und über seine eigenen Arbeiten und Notationen. Cantemir starb am 21. August 1723 in Dmitrowka in der heutigen Ukraine.
Türkische Musiktherapie: Die zur Krankheit passende Musik – der passende Makam
Die „westliche Musik“ teilt Töne in Halbtonschritte. Die türksiche Musik in Vierteltöne und Makame. Ein Makam ist einem Modusähnlich. Die türkische Musik hat 9 Microtöne und damit 600 Makame. Dadurch klingt sie sehr melodisch und hat eine große Klangvielfalt. Bei der Behandlung wurde die Musik nicht willkürlich verwendet. Jede Krankheit wurde durch verschiedene Arten von Melodien (Makame) und Rhythmen behandelt. Makam ist im Türkischen die Bezeichnung für einen charakteristischen Melodietyp bzw. für die Art eines Musikstückes – der Melodietyp ist charakterisiert durch eine spezifische Tonleiter, Tonart und weitere musikalische Elemente. Typisch sind auch Eröffnungs- und Endmelodien, gewöhnlich Taksims, die man mit musikalischer Improvisation vergleichen kann. Über 600 verschiedene Makams sind bekannt, 12 von ihnen wurden zu therapeutischen Zwecken verschrieben. Der islamische Philosoph Al-Farabi (*870-950) fasste in seinem Werk „Musikiul-kebir“ einige Makame und deren Wirkungen auf den Menschen wie folgt zusammen:
„Der Rast-Makam erfreut den Menschen und gibt ihm Zufriedenheit, der İsfahan-Makam schenkt dem Menschen Beweglichkeit und Selbstvertrauen. Segah beruhigt und fördert den Schlaf – der Neva-Makam gibt Appetit und Gelassenheit. Der Uşşak-Makam (einer der ältesten Makame) lässt den Menschen lachen und die Seele zutiefst erfreuen. Zengüle fördert den Schlaf. Saba-Makamı gibt Kraft, und der Hüseyni-Makamı schenkt dem Menschen Zufriedenheit, Wohlsein und Vollkommenheit.“
Der oberste Arzt des osmanischen Reiches, Hekimbaşı Gevrekzade Hasan Efendi schrieb in seinem Werk „Neticetül-fikriye ve Tedbir-i veladet-ül bikriye“ über die Psychologie des Kindes und darüber, welcher Makam bei welchen Kinderkrankheiten eingesetzt werden sollte.
Zusammenfassung des Dargestellten von Hekimbaşı Gevrekzade Hasan Efendi:
- 1. Rast ; für Freude – gegen Epilepsie und Hirnerkrankungen und Gelähmtheit
2.Irak ; bei Meningitis bei Kindern
3. Isfahan ; gegen Fieber, erhört die Konzentration und die Intelligenz
4. Zîrefgen ; Gelähmtheit im Gesicht, Schmerzen in den Muskeln und Gelenken
5.Rahâvî; Kopfschmerzen bei Kindern, gegen Nasenbluten und Gelähmtheit
6. Büzürk ; gegen Niedergeschlagenheit und Schmerzen. Belebend
7. Zengûle ; gegen Herzerkrankungen, Meningitis und Sodbrennen
8. Hicaz ; gegen Inkontinenz
9. Buselik ; für Kraft und befreit den Kopf von wirren Gedanken und bei Erkrankungen am Auge
10. Uşşak ; nachmittags gegen Schmerzen und gegen Organisch Bedingte Erkrankungen
11.Hüseynî ; Gelassenheit und Zufriedenheit – Gegen Erkrankungen am Herz und Lunge, vor allem gegen Fieber und Gelbfieber
12. Neva ; für Erleichterung gegen Schmerzen am Becken Bereich und schlechte Gedanken.
„Schöne Klänge, harmonische Musik gibt den Kindern Freude, Gelassenheit und der Seele Zufriedenheit. Den Kummer und ihre Sorgen lassen sie weit hinter sich und fallen in einen tiefen Schlaf.“ – Hekimbaşı Gevrekzade Hasan Efendi
Türkische Musiktherapie: Segah Makam – Beispiel: Segah Peşrev von Tanburi Büyük Osman Bey *1816 – gegen Depressionen und Schlaflosigkeit – Videoquelle und Beispiel: YouTube
Tanburi Büyük Osman Bey (*1816–1885) war ein osmanischer Komponist. Er behielt den Beinamen „Tanburi“, da er ein Tanbur – Musikinstrument – Virtuose war. Neben seinem Großvater Numan Ağa und seinem Vater Zeki Mehmed Ağa – beide ebenfalls Komponisten – gilt er als ein wichtiger Vertreter der klassischen osmanischen Musik. Zudem war er ein begeisterter Anhänger des Mevlevi-Derwisch-Orden und komponierte deshalb mystische Sufi-Musik für die uns bekannten „Tanzenden Derwische“.
Im Hinblick auf die Wirkungen der Makame ist die Literatur sehr vielfältig. Farabi beschreibt sogar auf Grundlage physikalischer und astronomischer Erkenntnisse, zu welcher Tageszeit ein Makam am wirkungsvollsten ist. Um ein paar Beispiele zu nennen: Hüseyni wäre am Morgen, Hicaz nachmittags und Neva am Abend am wirkungsvollsten.
Wie und bei wem wurde die Musiktherapie angewandt?
Durch Evliya Çelebi und den Arzt Hasan Şuuri (*1693) sowie weitere osmanische Handschriften erfahren wir, dass die Musik in der Regel nicht einzeln, sondern mehreren Patienten gleichzeitig vorgespielt wurde. Die musikalischen Klänge wurden oft kombiniert mit dem Klang vom fließendem Wasser sowie einer musikalischen Improvisation. Häufig verwendete Instrumente waren Ney, Santur, Çeng, Ud, Regab, Dombra und noch einige andere. Des Weiteren ist bekannt, dass die Patienten während der Behandlung im Liegen oder in einer bequem sitzenden Lage positioniert wurden. Über die Krankheiten, die man mittels der Musik behandelte, findet man jedoch nur sehr allgemeine Beschreibungen. Laut den Handschriften wurden vor allem Kinder mit Down-Syndrom, Autisten, geriatrische Patienten sowie psychisch kranke Menschen therapiert. Es gibt jedoch keine klare Beschreibung, wie genau man vorging und wie es endete und in welcher Beziehung die Patienten zu ihrem Heiler standen. Es wird auch kein religiöser Hintergrund bei der Verwendung der Musik als Mittel der Kommunikation mit der übernatürlichen Welt und der Heilung durch göttliche Intervention erwähnt. Auch über die Therapiedauer gibt es keine konkreten Informationen, also darüber, wie lange die Therapie fortgesetzt oder wie oft sie wiederholt werden sollte. Allerdings gibt es in den Handschriften, wie auch zunächst oben kurz angeschnitten, detaillierte Tabellen, die die Tage und Uhrzeiten beschrieben, wann und zur welchen Uhrzeit welche Makame gespielt werden sollten. Ein Ansprechen der Patienten auf die Musiktherapie ist in den meisten Quellen nicht festgehalten, mit Ausnahme von Notizen des osmanischen Arztes Hasan Şuuri, der zugleich auch ein wichtiger osmanischer Dichter und Denker war. Er beschreibt die Musiktherapie im Bayezid Krankenhaus in Edirne eher als reine Unterhaltung unter den Mitarbeitern und schreibt, dass sich einige Patienten eher gestört fühlten. Dies spiegelt eine kritische Haltung gegenüber den Praktiken, aber nicht gegenüber dem Erfolg der Musiktherapie wieder. Denn in seinem Buch „T’adil-ül Emzice“ schreibt Suuri über die Musiktherapie:
„die Makame schlagen zeitgleich wie die Pulsschläge unserer Adern – der Zusammenhang der Wissenschaft der Musik und der Medizin ist mehr als offensichtlich.“
Aufstieg und Verfall der Musiktherapie im Osmanischen Reich
Die Musiktherapie war während der Blütezeit des Osmanischen Reiches, bis hin zum „kranken Mann am Bosporus“ weit verbreitet. Doch im Laufe der Zeit, auch aufgrund des Einzugs unserer moderneren Medizin, wurden die heilenden Klänge zunehmend weniger ernst genommen. Die Heilmusik nahm dann zunächst Einzug in die Kaffeehäuser, später auch in die Gaststätten. Die Musik entfremdete sich von ihrem ursprünglichen Zweck, da die Bevölkerung diese Musik nur noch als Unterhaltungsmusik verstand.
Ziele der türkischen Musiktherapie
Ziele der türkischen Musiktherapie waren die Behandlung psychisch bzw. organisch bedingten Krankheiten und die Erhaltung sowie Wiederherstellung des Gleichgewichts zwischen Körper und Geist. Die Musik sollte sowohl physische als auch emotionale Wirkungen haben. Durch Auslösen von Weinen oder Lachen erhielt man ein Feedback vom Patienten. Dieses war in einem gewissen Rahmen vorhersehbar, und so wusste man vorher, welcher Musikstil bei den jeweiligen Patienten gespielt werden sollte. Selbst schwerste Formen von Infektionskrankheiten behandelte man mit Musik, derartige Ideen kann man bis Demokrit in der Antike zurückverfolgen.data:image/gif;base64,R0lGODlhAQABAAAAACH5BAEKAAEALAAAAAABAAEAAAICTAEAOw==Türkische Musiktherapie: Turkish Music Therapy – Buselik Pesrev by D. Cantdemir * 1673 – against of confused thoughts; gegen wirre Gedanken
Tumata: Türkische Musiktherapie in Forschung & Präsentation
Der Prozess der Entfremdung und Verkommenheit vollzog sich erschreckend schnell. So schnell, dass dieses kulturelle Erbe fast vergessen wurde. Jedoch gab es in unserem letzten Jahrhundert einige Wissenschaftler, die sich mit dieser Thematik auseinandersetzten. Darunter Dr. Rahmi Oruc Güvenc, der 1976 die Gruppe Tumata gründete. Diese Gruppe befasst sich mit den heilenden Klängen aus der Zeit der Schamanen bis hin zu den Osmanen. Die Ziele von Tumata sind, Nachforschungen und Bekanntmachung der zentralasiatischen Musikkultur. Hörbeispiele gibt es auf der Homepage der Tumata. In der Nacht vom 4. auf den 5. Juli 2017 ist Dr. Rahmi Oruç Güvenç verstorben.
Türkische Musiktherapie heute
Heute wissen wir, dass die Musik bei Menschen starke Emotionen und Reaktionen hervorrufen kann, deshalb wird sie heute auch zunehmend bei seelischen Beschwerden wie Depressionen oder Psychosen praktiziert und angewendet. Die türkische Musiktherpie ist kulturell übergreifend. Darüber hinaus zeigen sich aber auch funktionelle Veränderungen bei bestimmten Organen, z. B. beim Herz. Es ist eine Tatsache, dass das Herz durch Emotionen beeinflusst werden kann. Die direkte Messung von Reaktionen auf musikalische Schwingungen mag schwer sein, jedoch kann man indirekt die Änderungen in der Herz und Atemfrequenz messen. Der Krankenhauskomplex in Edirne, der heute als Museum für Gesundheit dient, gewann 2004 den Museumspreis des Europarates und noch viele weitere Aufzeichnungen. Noch heute kann der Museumsbesucher Platz nehmen und dem Wasser und der Musik lauschen, die schon seinerzeit die Patienten heilten.
Homöopathie und türkische Musiktherapie
Homöopathie und Musiktherapie, beide gehören ohne Zweifel zu den alternativmedizinischen Behandlungsmethoden. Die Homöopathie ist uns allen bekannt. Die türkische Musiktherapie hingegen ist für uns und sogar für unsere vielen türkischen Mitbürger neues Terrain. Ob man Beide nun vergleichen kann? Dies vermag ich nicht zu beantworten. Jedoch ist Eines klar, beide Methoden haben unter anderem das Ziel, die Seele sowie die geistige Kraft, alternativmedizinisch zu stärken und schließlich die Gesundheit herbeizuführen. Beide Heilpraktiken sind alt und haben bis heute überlebt. Das Interesse an Homöopathika in der Türkei und die Türkische Musiktherapie in Deutschland werden immer populärer. Die heilende Wirkung von Musik hat in der Türkei als Heilverfahren jahrhundertelange Tradition. Unsere moderne Schulmedizin glaubt an Ergebnisse klinischer Studien. Sicherlich gibt es viele Kritiker der alternativen Heilmethoden, aber es gibt auch starke Befürworter sowie jene, die sich zurückhalten. Man kann zwar vielleicht nie endgültig die Wirksamkeit beweisen können, da niemand versuchen wird, bei Krankheiten wie Krebs den Patienten mit Musik oder Salzen zu therapieren. Persönliche Erfahrungen, Erfolgsgeschichten, und vielleicht alte Traditionen werden jedoch diese Heilmethoden weiterhin am Leben erhalten.
Quellen Türkische Musiktherapie:
– Samuel Hahnemann: Organon der Heilkunst., 6. Auflage
– ŞUURİ, Hasan Efendi; T’adil-ül Emzice
– AK, Ahmet Şahin (2006) Avrupa ve Türk İslam Medeniyetinde Müzikle Terapi Tarihi Gelişim ve Uygulamaları
– ÇOBAN, Adnan. Müzik Terapi
Tonquelle You Tube, A K. Rizeli, Emre Araci, Savall, Alle Materialien sind nicht auf unseren Server gespeichert. Wir distanzieren uns und machen diese Inhalte nicht zu eigen.
– Bildquellen: Wiki pedia Deutschland, Türkei
– GÜVENÇ, Rahmi Oruç. Türk Musikîsi Tarihi ve Türk Tedavi Musikîsi – TÜMATA
– GEVREKZADE Hafız Hasan Bin Ahmed, Emraz-ı Ruhaniyeyi Nagamat-ı Musikiye-i Tedavi
– saglikmuzesi.trakya.edu.tr/
– muslimheritage.com/topics/default.cfm?ArticleID=1089
– Yrd. Doç Dr. Ratip Kazancıgil, Edirne Sultan II. Bayezid KülliyesiTürk Kütüphaneciler Derneği Edirne Şubesi- 1994
– kalemguzeli.net/
Quelle: Istanbultrip