Moers

Kiesabbau zerstört Kulturlandschaft

Kiesabbau zerstört Kulturlandschaft

Betr. Offenlagebeschluss des RVR vom 17.12. 2021

Hier: Beabsichtigte Stellungnahme des Grafschafter Museums- und Geschichtsvereins e. V. (GMGV) in Moers zur Offenlage des Regionalplan-Entwurfs Ruhr, betreffend die Blattschnitte 19 und 20 des aktuellen Entwurfs.

Die Pläne des Regionalverbands Ruhr, Kiesabbau im nördlichen Bereich der Stadt Neukirchen-Vluyn zuzulassen, zeugen von völliger Unkenntnis oder Missachtung der kulturgeschichtlichen Bedeutung der vorgesehenen Fläche, die für die gesamte Region einen identitätsstiftenden Charakter besitzt. Der geplante Abgrabungsbereich grenzt im Westen unmittelbar an das Hesselfeld, nach Ansicht des LINEG-Geologen Lothar Steinberg die „besterhaltene Donk“ im Bereich der Moerser Donkenlandschaft.

Diese Donkenlandschaft erstreckt sich vom Rhein bis zu den Schaephuysener Höhenzügen. Noch bis in die frühe Neuzeit hinein bildete der Rhein dort in Hochwasserjahren ein weitflächig mäandrierendes Netz von Nebenarmen aus, so dass sich von Wasser umspülte Inseln, die heutigen Donken bildeten. Noch lange nach Eindeichung des Rheines im 19. Jahrhundert führten diese, nunmehr vom Fluss abgeschnittenen  Altrheinarme zum Teil beträchtliche Wassermengen. Heute nutzt die  LINEG das Kendelnetz als Vorfluter.

Während dieser Delta-Charakter im Raum Moers durch Überbauung und Kanalisierung nicht mehr erkennbar ist, hat sich im Norden Neukirchen-Vluyns auf einer Fläche von geschätzt fünfzehn Quadratkilometern eine weitgehend ursprüngliche Donkenlandschaft erhalten, in der sogar für Laien die am Ende der letzten Eiszeit entstandenen unterschiedlichen Geländeprofile gut erkennbar sind. Damit besitzen das Hesselfeld und die angrenzende Boschheide einen ähnlich landschaftsbildprägenden Charakter für die Region wie die (außerhalb des RVR-Gebiets liegenden) Schaephuysener Höhenzüge, die Nieper Kuhlenkette oder die inzwischen begrünte und als Freizeitraum beliebte Halde Norddeutschland. Der Blick von dort über Hesselfeld und Boschheide gehört zu den schönsten Ausblicken am gesamten Niederrhein.

Wäre schon die geologische Bedeutung des letzten intakten Rests der Moerser Donkenlandschaft ein Grund, jegliche Beeinträchtigung zu unterbinden, macht die kulturhistorische Bedeutung einen Erhalt der Fläche in ihrer jetzigen Struktur geradezu zwingend. Abseits des Rheines gehörten Donken am Niederrhein zu den frühesten Siedlungsgebieten. Die Etymologie des Wortes lässt darauf schließen, dass Donken schon in keltischer Zeit besiedelt wurden. Spätestens mit den von den Klöstern Werden und Kamp, aber auch St. Maria im Kapitol zu Köln ausgehenden Erweiterungen landwirtschaftlicher Flächen wurden Donken durch teilweise Entwässerungen  und Rodungen zum Siedlungsgebiet. Dabei entstand ein  durch die Landschaft und ihre Ökologie vorgegebenes Muster. Die meisten Höfe wurden in unmittelbarer Nähe der Kendel gebaut, so dass Vieh und Menschen stets ausreichend Frischwasser zur Verfügung hatten. Zum Teil wurden, wie noch jetzt erkennbar, Kanäle  um die Gehöfte herum abgezweigt, so dass die Höfe wie eine kleine Wasserburg zu verteidigen waren. Da die Nähe zum Wasser aber bei Deichbrüchen des Rheins leicht zum Verhängnis werden konnte, wurden häufig in höher gelegenen Gebieten so genannte Wasserhäuser errichtet, in die sich Menschen mit ihrem Vieh flüchten konnten. Auf dem am Vietengraben gelegenen Winkelshof etwa ist ein solches Wasserhaus immer noch erkennbar.

Die Überflutungsflächen in Nähe der Gräben wurden für die Weidewirtschaf, die auf den Donken liegenden Felder für den Ackerbau genutzt. An dieser Aufteilung von Hof, Weide und Acker hat sich bis auf den heutigen Tag nichts geändert. Die Ausweisung großflächiger Auskiesungsgebiete, die laut Regionalplan bis dicht an den westlichen Bereich der Donk Hesselfeld heranreicht, würde diese seit Jahrhunderten bestehende kulturlandschaftliche Struktur unwiderbringlich zerstören.

Gleichermaßen landschaftsbildprägend ist die Einbettung der Höfe in die sie umgebenden Felder und Wiesen. Auch diese Beziehung würde zerschnitten. Die Forschungsarbeiten von Annette Brüggestraß, die im Archiv der Stadt Neukirchen-Vluyn einsehbar sind, haben nachgewiesen, dass ein Teil der Höfe, die im Folgenden aufgelistet werden, eine Geschichte bis in die karolingische Zeit haben. Für viele liegen urkundliche Erwähnungen bereits aus dem 14. und 15. Jahrhundert vor. Schaut man auf die ältesten, zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstandenen  Landkarten (M. Buyx, Tranchot, preuß. Urkarte), stellt man fest, dass in den vergangenen 200 Jahren nicht nur Zahl und Lage der Höfe, sondern auch die Namen weitgehend unverändert erhalten geblieben sind.

Kiesabbau zerstört Kulturlandschaft

Die Tranchot-Karte zeigt Neukirchen um das Jahr 1830. Von Hand eingezeichnet ein Teil des beabsichtigten Abbaugebiets.

Das Hesselfeld und Boschheide in der Darstellung des Geometers Michael Buyx (um 1800)

Kiesabbau zerstört Kulturlandschaft

Bei den genannten Höfen handelt es sich um (im Uhrzeigersinn von Norden):

Ondereicks

Averdunk

Winkels

Groß Hüsch/Klein Hüsch

Jöden

Vieten

Krauhaus

Wellfonder

Springen

Heister

Bullhorst

Boschhöfe

Tavenrath

Seiltgens

Die lockere Ansammlung dieser rings um die Donk Hesselfeld angeordneten Höfe ist mehr als nur eine zufällige Zahl verstreuter Gehöfte, aber weniger als eine Dorfgemeinschaft mit verbindlichen weltlichen und kirchlichen Traditionen.  Gemeinsamkeiten entstanden dort durch die Pflege des Brauchtums, Spinnabende für die Frauen, gegenseitige Hilfe in Notlagen oder Heiratsbeziehungen. Die bis heute gewahrt gebliebene räumliche Anordnung der landwirtschaftlichen Einheiten spiegelt somit auch ein Netz historischer sozialer Beziehungen wider.

Schlussfolgerung

Die geplanten Auskiesungen in der Boschheide westlich des Hesselfelds würden eine historisch bedeutsame Kulturlandschaft auch dann zerstören, wenn die oben genannten Gebäude und die Donk Hesselfeld selbst unangetastet blieben. Zum einen wäre der typische Donkencharakter einer von Kendeln umspülten Erhöhung durch Kiesgruben und die damit verbundenen Umgestaltungen der Landschaft nicht mehr erkennbar. Zum anderen würde der Kiesabbau in unmittelbarer Nähe der historischen Höfe deren Einbindung in die Landschaft beenden. Und schließlich würde auch das rings um die  Donk laufende Wegenetz, durch das die Geschichte der Region für viele Erholungsuchende erfahrbar gemacht wird, zerstört.

Der GMGV erlaubt sich darauf hinzuweisen, dass der in Neukirchen-Vluyn beabsichtigte  Kiesabbau im Gegensatz zu den Zielen des Regionalplans steht. Dort heißt es im aktuellen Entwurf auf S. 143 unter 3.2:

„Die landes- und regionalbedeutsamen Kulturlandschaftsbereiche sollen unter Wahrung ihrer prägenden Merkmale und Strukturen erhalten und entwickelt werden. Dabei sollen insbesondere folgende Zeugnisse des bau-, landschafts- und industriekulturellen Erbes erhalten und entwickelt werden sowie bei raumbedeutsamen Planungen im Sinne einer erhaltenden Kulturlandschaftsentwicklung berücksichtigt werden:

,, kulturhistorisch bedeutende Siedlungen und Freiräume sowie bedeutende Zeugnisse der Wirtschafts-, Verkehrs- und Industriegeschichte,

regional überlieferte Siedlungsmuster und –formen in ihrer Eigenart und Typik, in ihrer Zusammensetzung und Verteilung, in Grund und Aufriss sowie mit ihren Rändern und Übergängen zum Freiraum,

strukturelle, funktionale und visuelle Raumbezüge und Erschließungsstrukturen, insbesondere der Denkmäler und Denkmalbereiche in ihrem Wirkungsraum,

prägende Orts-und Landschaftsbilder, räumliche Sichtbezüge, Horizontlinien und Silhouetten (z.B. Alleen) sowie Freiflächen um solitäre Bauten,

morphologische Elemente traditioneller nachhaltiger Nutzung, die die Eigenart und Charakteristik von Landschaft bilden,

historisch gewachsene persistente bäuerliche Nutzungsstrukturen, die sich in der Verteilung von Wald und Offenland ausdrücken.

kulturhistorisch bedeutende Siedlungen und Freiräume sowie bedeutende Zeugnisse der Wirtschafts-, Verkehrs- und Industriegeschichte,

regional überlieferte Siedlungsmuster und –formen in ihrer Eigenart und Typik, in ihrer Zusammensetzung und Verteilung, in Grund und Aufriss sowie mit ihren Rändern und Übergängen zum Freiraum,

strukturelle, funktionale und visuelle Raumbezüge und Erschließungsstrukturen, insbesondere der Denkmäler und Denkmalbereiche in ihrem Wirkungsraum,

historisch bedeutende Freiräume wie Garten-und Parkanlagen, Friedhöfe, Wirtschaftsgärten, Obstwiesen sowie Alleen,

prägende Orts-undLandschaftsbilder, räumliche Sichtbezüge, Horizontlinienund Silhouetten (z.B. Alleen) sowie Freiflächen um solitäre Bauten,

morphologische Elem ente traditioneller nachhaltiger Nutzung, die die Eigenart und Charakteristik von Landschaft bilden,

historisch gewachsene persistente bäuerliche Nutzungsstrukturen, die sich in der Verteilung von Wald und Offenland ausdrücken.

Fast jedes dieser Kriterien trifft für die Boschheide und das Hesselfeld zu. Als Verein, der sich die Bewahrung der Heimat in der Grafschaft Moers zur Aufgabe gemacht hat, möchten wir Politik und Verwaltung an einen Satz erinnern, der sich ebenfalls im Regionalplanentwurf findet: „Besondere oder typische Landschaftsstrukturen sowie wertvolle historische Siedlungsstrukturen (Hofgruppen, Dörfer) sollen weiterhin ablesbar bleiben. Dabei soll berücksichtigt werden, dass historische Objekte nicht wiederherstellbar sind und Störungen unersetzbare Verluste bedeuten.“

Wir bitten, in diesem Sinne zu entscheiden!

Moers, den 24.1. 2022

 Grafschafter Museums- und Geschichtsverein

i.A: Jürgen Stock  

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