Wer rettet die Welt?
Mit dieser Leitfrage befasste sich am 5. Juni 2024 der 5. Ethik-Tag der Hochschule Rhein-Waal
Der Ethik-Tag der Hochschule Rhein-Waal (HSRW) hatte sich mit „Wer rettet die Welt?“ eine ambitionierte Leitfrage zum Thema genommen. Die Welt wurde bei der Veranstaltung zwar nicht gerettet, doch an dem Tag wurden Wege aus der Ohnmacht aufgezeigt, welche sich angesichts globaler und vielfacher Krisen einstellen kann.
So groß die Herausforderungen auch sein mögen, Lösungsansätze finden sich häufig gerade in kleineren Zusammenhängen – in der Familie, im Betrieb, in der Kommune. Damit lässt sich vielleicht nicht die Welt retten, sehr wohl lassen sich jedoch kleine Schritte gehen, die gemeinsam Großes bewirken können. Entsprechend lautete die Aufforderung im Untertitel der Veranstaltung: „Transformation gestalten in Zeiten der Polykrise“. Diesem Thema widmeten sich Bürger*innen, Wissenschaftler*innen, Studierende, Unternehmer*innen und kommunale Vertreter*innen.
Nach Grußworten des Präsidenten der Hochschule, Prof. Dr. Oliver Locker-Grütjen, begleitete Moderatorin Johanna Horn das zahlreiche Publikum durch den Tag. Thematisch eröffnet wurde der Ethik-Tag durch eine Keynote von Prof. Dr. Dr. Stefan Brunnhuber, Ärztlicher Direktor und Chefarzt Diakoniewerk Zschadraß. Er beschäftigt sich mit der Kunst der Transformation sowie der Frage, was Transformation bedeutet, und erläutert, dass es sich hierbei nicht um einen linearen Prozess handele, sondern dieser in Schritten verlaufe. Für Transformation nutzt er das Bild einer Wendeltreppe, die man spiralförmig nach oben oder unten gehen könne. Es gäbe keine Transformation ohne Anpassungen, Bewusstseinsveränderung und neue Regeln. Brunnhuber erklärte, dass Krisen immer auch Lernprozesse ausgelöst haben.
Dass Transformation mit erheblichem gesellschaftlichen Spaltungspotenzial einhergeht, machte der Dialog-Vortrag von Prof. Dr. Alexander Brand und Prof. Dr. Jakob Lempp mit unterschiedlichen Aspekten deutlich: „Transformation Europas? Wird Europa in Zukunft von Populisten regiert?“. Im Hinblick auf die Europawahl wurde thematisiert, was ein Rechtsruck im Europaparlament für die Transformation bedeuten könnte. Dabei wurde unter anderem betrachtet, dass die Polykrise einen Handlungsdruck entfache und gleichzeitig auch zu Veränderung vermeidenden populistischen Perspektiven führe. Als mögliche Strategien damit umzugehen, wurden unter anderem das Schließen einer Repräsentationslücke in der Politik und die Förderung von politischer Bildung sowie der Medienbildung, ein Abbau der überfordernden Krisenbewältigungsmaßnahmen und politisches Durchhaltevermögen diskutiert.
Weitere Wissenschaftler*innen der HSRW vertieften das Thema und zeigten praktische Handlungsmöglichkeiten auf: Prof. Dr. Daniela Lud ging in ihrem Impulsvortrag „Greening the Town – der Biodiversitätskrise mit Partizipation begegnen“ auf Flächenknappheit und Biodiversitätsverlust ein. Hierbei informierte sie über das Areal am Zechenpark in Kamp-Lintfort als Beispiel für Stadtnatur, welche gemeinsam mit den Bürger*innen partizipativ erhalten werde. Das Citizen-Science-Projekt „Zechenparks wilde Flora“ biete einen Einblick in die große Pflanzenvielfalt dieses Gebiets, wobei hier zukünftig auch Insekten mit einbezogen werden.
Prof. Dr. Timo Kahl und Prof. Dr. Kai Jörg Tiedemann beschäftigten sich in ihrem Vortrag „Der blinde Fleck in der Abfallentsorgung: Bürgerbeteiligung gegen lineare Trends in der Kreislaufwirtschaft“ mit den unterschiedlichen Verpackungsmaterialien und den damit verbundenen Herausforderungen der bestehenden Recyclingmethoden. In ihrem Projekt „Transformers“ seien vor allem die analoge und digitale Bürgerbeteiligung und der zukünftige Umgang mit Materialien, die schwieriger zu recyceln sind, im Fokus. Neben der wissenschaftlich strukturierten Analyse setzen auch erste Demonstratoren diese Fragen im Green FabLab praktisch um.
Nach den Vorträgen standen vier Workshops auf dem Programm. Prof. Dr. Florian Wichern und Barbara Arntz beschäftigten sich mit der Frage „Wer verändert die Landwirtschaft? – Visionen einer nachhaltigen Zukunft“. Der Workshop von Prof. Dr. Irmgard Buder und Dr. André Wenda widmete sich dem Thema „Energie: Was brauchen wir und wie kann unsere Energieversorgung zukünftig aussehen?“. Mit dem Workshop „Beitrag der Wissenschaft zur gesellschaftlichen Transformation: Reichen festgefügte Muster oder brauchen wir neue Formen der gesellschaftlichen Kooperation?“ wurde von Dr. Jan-Hendrik Kamlage, Dr. Klaus Krumme und Dr. Vanessa Meinen eine Fragestellung aus dem Projekt TransRegINT näher betrachtet. Und der englischsprachige Workshop „Visionary solutions for sustainable recycling: citizen participation and circular economy as a perfect match” fand mit Ubaida Dib, Sandoval-Betanco Jefferson-Josue und Marwin Wiegard statt und stellte die ersten Demonstratoren im Green FabLab vor.
Prof. Dr. Jean-Pierre Wils, Professor für Philosophische Ethik und Kulturphilosophie an der Radboud-Universität Nijmegen, leitete die abschließende Podiumsdiskussion mit einer Keynote über das Verständnis von Freiheit im Hinblick auf Transformation ein. Er erläutert, dass Neujustierungen und bisher kaum diskutierte Einschränkungen der Freiheit notwendig werden könnten, insbesondere um Freiheit zu erhalten. Kooperative Praktiken und Regionalisierung seien zur Stärkung von Resilienz notwendig. Für eine sozialverträgliche Transformation brauche es neue Praktiken des Gebens und Nehmens.
An der Podiumsdiskussion nahmen Prof. Dr. Dr. Stefan Brunnhuber, Prof. Dr. Jean-Pierre Wils und Bärbel Höhn, ehemalige Ministerin für Umwelt und Landwirtschaft des Landes NRW, teil und diskutierten die Gestaltung der Transformation und Anpassungen der Lebensstile. Die ehemalige Ministerin betonte, dass die Beteiligung der Zivilgesellschaft wichtig sei und Transformation sozial gestaltet werden solle.
Ein gemeinsamer Ausklang organisiert vom Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) rundete die Veranstaltung ab. Dazu gehörte auch Live-Musik der Band Soundscaper, deren Mitglieder Professoren der Hochschule sind.
Bildnachweis ©Mirko Musumeci/HSRW