Mit Nächstenliebe, 16 Stunden-Tag, Marathon und Mon Chéri gegen die Armut
Duisburg. Neue gesellschaftliche, soziale, politische, wirtschaftliche und globale Entwicklungen verlangen stets neue Wege zur Auf- und Bearbeitung. Auch die katholische Kirche muss sich nach Ansicht von Papst Franziskus diesen Herausforderungen stellen und öffnen. Ein Weg, den Pater Tobias in Duisburg- Neumühl mit neuen Ideen und Engagement seit Jahren als Seelsorger, Sozialbegleiter, Religionslehrer, Kämmerer, Projektgeschäftsführer, Ausbilder, Coach, Erfolgstrainer und Spendenmarathonläufer bestreitet. Das 10-jährige
Jubiläum des von dem Prämonstratenser Pater gegründeten ‘Projekt
LebensWert gGmbH‘ bietet den Anlass für ein intensives Gespräch über die Gestaltung von sozial-pastoraler Arbeit und basisorientierter Seelsorge sowie Verantwortung, Chancen, Erfolge und Ziele für christliche Kirchen.
Zunächst erstmal ‘Herzlichen Glückwunsch‘ zum Projektjubiläum, Pater Tobias. Wenn Sie die letzten 10 Jahre Revue passieren lassen, haben Sie Ihre Ziele erreicht? Was lief positiv, was müssen Sie und Ihre Mitarbeiter intensivieren und wo liegt das Hauptaugenmerk für die Zukunft?
Pater Tobias: Vielen Dank für die Glückwünsche zu unserem Jubiläum. In den letzten 10 Jahren haben wir jährlich viel für die uns anvertrauten bedürftigen und armen Menschen, besonders in Duisburg, aber auch darüber hinaus, getan. Besonders hervorheben möchte ich die von uns von Anfang an geleistete Sozialarbeit. Die soziale Beratung mit unseren zwei Mitarbeiterinnen, die mit Rat und Tat für arme Menschen fünf Mal in der Woche da sind, helfen vielen Menschen, die in Not sind und motivieren sie, damit sie Arbeit finden. Das ist wichtig um ihr Leben wieder selbst in den Griff zu bekommen und weg kommen von Hartz IV. Hier wird in Zukunft weiter unser Schwerpunkt unserer wertvollen Arbeit liegen. Die Altersarmut und die Kinderarmut nehmen leider in unserem Land jedes Jahr zu.
Gibt es besondere Erlebnisse und Begebenheiten, die Sie bestärken, diesen engagierten und persönlich einbringenden Weg zu gehen?
Pater Tobias: Papst Franziskus hat am Sonntag, den 19.11. den Welttag der Armen ausgerufen. Dieser Tag findet in diesem Jahr zum ersten Mal statt. Unserem Papst geht es darum, sich für die armen Menschen einzusetzen, ihnen
zu helfen, teilen und geben, wo wir können. Die Nächstenliebe zu den Menschen war und ist für mich, meine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und die vielen Ehrenamtlichen die im Projekt LebensWert arbeiten und tätig sind, seit 10 Jahren ein besonderes Anliegen. Besonders werden wir die wichtigen Themen der Kinder- und Altersarmut angehen. Papst Franziskus bestärkt mich immer wieder sich noch mehr für die Armen einzusetzen und ihnen zu helfen, wo wir können. Nächstenliebe leben und vorleben, wie es Jesus Christus immer wieder getan hat. Jesus sagt: ‘Du sollst den Herrn, Deinen Gott lieben und du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.‘ Jesus erinnert die Menschen, dass das Liebesgebot das wichtigste in unserem Leben ist.
Wie gehen Sie an diese Aufgaben heran und welche Mittel benutzen Sie?
Pater Tobias: Wir haben vor 3 Jahren das Cafè “Offener Treff mit Herz“ eröffnet, welches sich gerade bei Hartz IV-Empfängern, kinderreichen Familien und vielen älteren Mitbürger erfreut. Aber auch viele Neumühler kommen zu uns, weil wir immer frisches leckereres Essen zubereiten. Sie zahlen meistens auch „den Aufgeschobenen“, d.h. sie bezahlen zwei Mittagessen oder zwei Kaffee. Essen oder trinken sie aber nur eins, das heißt, das zweite Gericht oder den Kaffee zahlen sie dann als sogenannten ‘Aufgeschobenen‘. ‘Der Aufgeschobene‘ Kaffee, oder das Mittagessen erhält dann ein bedürftiger Mensch.
Das Kinderprojekt „KiPa-cash-4-kids“, welches wir vor 5 Jahren bereits gegründet haben, unterstützt und hilft vielen bedürftigen Hartz IV-Familien, aber auch vielen kinderreichen Familien. Hier erlaufen sozusagen unsere Spendenläufer, die mehrmals im Jahr Marathons absolvieren, Spenden für bedürftige Kinder.
Den von Ihnen eingeschlagenen Weg bezeichnet man auch als sozial-pastorale Arbeit. Die Wechselwirkung Ihrer seelsorglichen Aufgaben und gesellschaftlichen Engagements bewirkte in Ihrer Gemeinde, dem Stadtteil
Neumühl und der gesamten Stadt Duisburg …
Pater Tobias: … viele Taufen … (Pater Tobias lächelt) … dieses Jahr haben wir bereits jetzt schon 74 Taufen und das Jahr ist ja noch nicht zu Ende. Wir haben mehr Kirchgänger, viel mehr Hochzeiten und auch 68 Erstkommunionkinder.
Durch die vielen Kontakte zu den Menschen kommt die Seelsorge ja nicht zu kurz. Im Gegenteil das ist Seelsorge, das ist gelebte Nächstenliebe, wie es Christus von mir erwartet! Sein Heilswerk weiterzuführen, dass ist die Aufgabe eines Priesters und mit der Gemeinde Eucharistie zu feiern. Dem Menschen zu dienen, dafür bin ich Priester, Ordensmann geworden. Sich um die Menschen vor Ort zu kümmern, sie zu besuchen, sie anzusprechen, das ist Nächstenliebe. Die Menschen in Neumühl und in ganz Duisburg erfahren, dass wir für die Menschen da sind. Da bediene ich mich immer gerne auch der lokalen Presse, der Werbung in den sozialen Netzwerken und Internet. Dadurch werden viele Menschen informiert, die nicht mehr zur Kirche gehen, aber sie lesen und hören von unseren Aktivitäten. Das ist Kirche!
Beide Kirchen beklagen seit Jahren Kirchenaustritte, Rückgänge bei Taufen und weniger ehrenamtliche Mitarbeit. In Ihrer Gemeinde Herz-Jesu werden aber mehr Sakramente vergeben, die Anzahl der Messdiener und Helfer steigt. Die Gründe hierfür sind …
Pater Tobias: Als Pastor der Gemeinde Herz-Jesu bin ich sozusagen der ‘Motor‘ und der muss ‘laufen‘. Führen und Leiten sind hier wichtige Eigenschaften, die ich in einem Zusatzstudium erworben habe. Die Menschen direkt ansprechen, sie zu Hause besuchen, persönlichen Kontakt herstellen. Durch unser Projekt LebensWert komme ich mit vielen Menschen ins Gespräch. In meiner Gemeinde gibt es, seit ich vor ca. 10 Jahren in diese Gemeinde kam, keine hauptamtlichen Mitarbeiter mehr. Persönliche Ansprache ist hier ganz wichtig. Küster, Gemeindebüro und Hausmeister werden durch ehrenamtliche Helfer und Helferinnen besetzt. Das Gemeindebüro wird jeden Tag von vielen Menschen besucht, es liegt ja direkt neben unserem Cafè. Die Menschen würde ich sonst überhaupt nicht erreichen. Das wichtigste sind die Seelsorgestunden an den Neumühler Grundschulen. Hier haben die 3. Klassen bei mir Unterricht und die Kinder finden es echt toll, wie ich das mache. Dadurch habe ich viele Erstkommunionkinder, viele Messdiener und eine rege Jugendarbeit in der katholischen Jugend (KjG). Ich kenne fast alle Neumühler Kinder.
Wenn man Ihre Arbeit, den hohen zeitlichen und persönlichen Aufwand verfolgt, stellt man sich die Frage, wie ein Mensch dieses Pensum alleine leisten kann.
Gibt es vier Klone von Ihnen oder haben Sie einen 72-Stunden Tag? Woher schöpfen Sie Ihre Kraft?
Pater Tobias: Klonen haben wir versucht, aber – nein, Scherz beiseite. Die Leute wollen lieber das Original … (Pater Tobias lächelt) … Als Ordensmann haben wir keinen freien Tag in der Woche und ich arbeite jeden Tag 16 Stunden, das ist normal. Ich habe ja keinen Beruf, es ist eine Berufung, meine eigene Berufung. Jesus Christus ist mein Vorbild. Er war für die Menschen da, lief weite Wege … Pater Tobias in Gedanken …sicherlich vergleichsweise auch manchen Marathon. Und zwischendurch trainiere ich selber für den nächsten Marathon, so tue ich meinem Körper und meiner Seele etwas Gutes. Wie man das schafft, werde ich oft auch von Führungskräften gefragt, denen ich dann immer wieder ein paar Tipps gebe. Morgens den Tag mit dem Gebet, mit Gott beginnen, später Zeitung lesen, weil da sind so viele negative Schlagzeilen, damit sollte man nicht den Tag beginnen. Abends den Tag in Gedanken Revue passieren lassen und dann mit einem Gebet beenden, damit wir in den Tiefschlaf kommen. Tagsüber bete ich oft das „Vater unser“, da steckt so viel Kraft drin und Gott gibt mir die Power für den Tag. Wer sonst?
Aufsehen und Anerkennung über Duisburgs Grenzen hinaus erhalten Sie für Ihre Spendenmarathons. 64 sind es inzwischen, wie viele werden bzw. müssen noch dazukommen? Wie lange werden Sie dieses enorme Tempo Ihres Engagements noch betreiben?
Pater Tobias: Ja, letzten Sonntag lief ich den 64. Marathon mit meinen Spendenläufern in Frankfurt. Direkt nach dem Marathon haben wir dann unsere Kinder und Jugendlichen in der Kinderfreizeit besucht und Gottesdienst gefeiert. Nur noch einen Marathon, dann habe ich zehn Marathonspendenläufe für arme Kinder in diesem Jahr geschafft. Ein bisschen stolz bin ich schon darauf. Normalerweise läuft man 2-3 Marathons im Jahr und dass ist schon viel. Ich möchte so lange es gesundheitlich geht laufen. Zum Marathon melde ich mich immer an, sonst würde ich, glaube ich, nicht trainieren. Der „innere Schweinehund“ ist manchmal auch bei mir zu spüren.
Sie selbst sehen die Arbeit Ihres Projekts als ‘Verkaufen‘ der sogenannten Marke ‘Pater Tobias‘. Wegen der Gemeinnützigkeit und dem Ausbleiben städtischer Förderung gilt bei Ihnen der Grundsatz ‘Klappern gehört zum Geschäft‘. Ist diese Ansicht wegweisend in der sozial-pastoralen Arbeit?
Pater Tobias: Die öffentlichen Kassen sind leer und auch viele Stiftungen haben nicht mehr das Geld, was sie früher mal hatten. Deshalb müssen wir viel Pressearbeit machen, damit wir in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden und unsere Projekte in der Öffentlichkeit bekannt werden. Das gefällt, auch manchem „guten“ Katholiken, nicht immer, dass der Pater immer in der Zeitung steht. Aber damit kann ich leben. Für uns ist es wichtig an Gelder zu kommen, damit wir Menschen helfen können. Es geht ja nicht um den Pater Tobias persönlich, sondern um die vielen Menschen, die unsere Hilfe in Anspruch nehmen, uns anvertraut sind und denen wir helfen wollen und das geht manchmal nicht ohne Geld. Als Pater erhalte ich kein persönliches Gehalt, mache keine Karriere, das ist für mich nicht wichtig, dafür geht man nicht ins Kloster. Ich bin ins Kloster gegangen um Jesus nachzufolgen, haben meinen Beruf bei BMW aufgegeben, ich habe alles hinter mir gelassen, um frei zu sein für die seelsorglichen Aufgaben. Und jetzt geht es um die Arbeit unserer Projekte, um die Menschen. Als gemeinnützige GmbH bin ich dringend auf Spenden angewiesen. Miete, Betriebskosten und auch Personalkosten müssen finanziert werden um den ganzen Apparat im Projekt LebensWert am „Leben“ zu halten. Manche schlaflosen Nächte habe ich auch, wenn die Spendengelder nicht so fliesen.
Gestatten Sie mir noch einen Rückblick auf das Wahlverhalten bei der letzten Bundestagswahl. Nicht nur in Neumühl konnte die rechts-nationale Partei über 30 Prozent erreichen. Was müssen diesbezüglich die beiden christlichen Kirchen angehen?
Pater Tobias: Es hat mich schon sehr traurig gestimmt, als ich hörte, dass 30 % in Neumühl diese rechts-nationale Partei gewählt haben. Mit vielen Menschen kam ich ins Gespräch und konnte auch aufklären, weil viele noch nicht einmal das Wahlprogramm gelesen hatten. Oft sind es Wähler, die von ihrer Partei enttäuscht waren. Und auch Wähler, die aus Angst diese Partei gewählt haben. Sie befürchten, dass noch einmal eine große Flüchtlingswelle nach Neumühl kommen wird. Wir als Kirchen sind hier auch gefordert mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Aber da ist auch die Politik gefragt.
Heute feiern die Evangelischen den 500. Reformationstag. Angesichts der neuen globalen Herausforderung und Verfolgung von christlichen Gemeinschaften und Gruppierungen, welche Erwartungen haben Sie an die beiden großen christlichen Kirchen?
Pater Tobias: Die Ökumene muss weiterhin gestärkt werden und man sollte noch mehr auf einander zu gehen. Wir hier in Neumühl machen schon seit vielen Jahren sehr viel gemeinsam. Gemeinsame Veranstaltungen sind gut und sollten intensiviert werden. Die Einheit der Christen muss gefördert werden und die Vielfalt muss erhalten bleiben. Die Einheit der Christen ist in der persönlichen Beziehung zu Jesus Christus begründet und ein Geschenk des Geistes Gottes, dem es Geist und Herz zu öffnen gilt.
Eine letzte Frage: Der private Pater Tobias mag …
Pater Tobias: Eigentlich gibt es den ‘privaten‘ Pater Tobias ja gar nicht. Aber wenn es ums Essen geht, habe ich die Liebe zur syrischen Küche entdeckt. Unser Azubi Yamen Kadour kocht sehr lecker in unserem neuen Sham- Restaurant und da kann ich jede Woche ein neues Gericht kennenlernen und diese Speisen schmecken mir sehr sehr lecker-gut. Und manchmal werde ich „schwach“, da esse ich auch schon manchmal ‘Mon Chéri‘, aber dann die ganze Packung. Danach darf ich wohl kein Auto mehr fahren, wurde mir mal gesagt.
Vielen Dank für das ausführliche Gespräch, Pater Tobias.
(Das Gespräch mit Pater Tobias führte Christian Voigt)