„Die Stechuhr darf nicht das Regiment übernehmen“
Arbeitgeber sollen nach einem EuGH-Urteil (Rechtssache C-55/18) verpflichtet werden, die gesamte Arbeitszeit ihrer Beschäftigten systematisch zu erfassen. Nur so lasse sich überprüfen, ob zulässige Arbeitszeiten überschritten würden – und nur dies garantiere die im EU-Recht zugesicherten Arbeitnehmerrechte, entschieden die Richter. Geklagt hatte eine Gewerkschaft in Spanien; der EuGH formulierte nun eine Vorgabe an alle EU-Mitgliedsstaaten, Arbeitgeber zu Systemen der Arbeitszeiterfassung zu verpflichten. Andernfalls werde gegen die EU-Grundrechtecharta, die EU-Arbeitszeitrichtlinie und die EU-Richtlinie über die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer bei der Arbeit verstoßen. Über die Details der Umsetzung können die Staaten selbst entscheiden.
Dazu Wolfgang Schmitz, Hauptgeschäftsführer der Unternehmerverbandsgruppe:
„Das Urteil hat auf den ersten Blick das Potenzial, zahlreiche moderne und flexible Gestaltungsmöglichkeiten von Arbeitszeit zunichte zu machen. Hier haben Arbeitgeber und Arbeitnehmervertreter in der Vergangenheit im Sinne der Mitarbeiter vielfältige Möglichkeiten geschaffen, die nun samt und sonders auf dem Prüfstand stehen, Stichwort Vertrauensarbeitszeit. Damit einher geht auch das Thema Homeoffice – das Für und Wider wird regelmäßig heiß diskutiert. Für viele Arbeitnehmer bedeutet Homeoffice die selbstverantwortliche und der eigenen Lebenssituation angepasste Gestaltung der Arbeitszeit. Damit wir hier nicht wieder um Jahre zurückgeworfen werden und die Bedürfnisse der neuen Arbeitswelt, eben New Work, nicht aus den Augen verlieren, muss der deutsche Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der EuGH-Rechtsprechung sehr sensibel vorgehen. Es darf nicht sein, dass die Arbeitnehmer, die bereits flexibel arbeiten, weil sie es wollen, nun in Sippenhaft genommen werden und die Stechuhr das Regiment übernimmt.“
Alexander Kranki, Inhaber der Duisburger Digitalagentur Krankikom, ergänzt:
„Bei uns gibt es die Regel, dass unsere Leute komplett frei darin sind, wann und von wo aus sie arbeiten. Das ist Standard und wird von ihnen auch so eingefordert. Das Urteil stellt mich als Unternehmer nun vor die Frage: Ist diese Form modernen Arbeitens zukünftig noch möglich? Diese Frage wird vom Urteil des Europäischen Gerichtshofes selbst nicht beantwortet; die Antwort wird von der nationalen Umsetzung des Urteils abhängen, genau wie jene, ob die Erfassung sämtlicher Arbeitszeiten für kleine und viele mittelgroße Unternehmen überhaupt machbar ist. Es darf in Deutschland keine rückwärtsgewandte Rechtsauslegung geben, die sich an einer Arbeitsstruktur der Industrialisierung und nicht der Digitalisierung orientiert. Sollte es allerdings ausreichen, dass die Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit selbst erfassen können, würde sich nichts ändern. Genau das machen wir heute schon so.“
Bildunterschrift:
Wolfgang Schmitz, Hauptgeschäftsführer des Unternehmerverbandes
(Fotos: Unternehmerverband)