Pressemitteilung des Landesintegrationsrates NRW zum europäischen Tag der Sprachen – 26. September 2023
Der Europäische Tag der Sprachen ist eine Gelegenheit, alle in Europa gesprochenen Sprachen zu feiern. Mit ‚alle Sprachen‘ sind nicht nur die sogenannten Amts- oder Nationalsprachen gedacht, sondern auch die Vielfalt an gesprochenen Sprachen, die vor Ort benutzt werden. Die Mehrsprachigkeit ist Realität in Nordrhein-Westfalen, auch dank der Menschen mit internationaler Familiengeschichte. „Wir feiern den Europäischen Tag der Sprachen, weil die Vielfalt an gesprochen Sprachen vor Ort eine entscheidende Entwicklung, eine schöne Bereicherung und ein wertvoller Schatz unserer Gesellschaft darstellt“ betont Tayfun Keltek, Vorsitzender des Landesintegrationsrates NRW. Die Mehrsprachigkeit ist die alltägliche Erfahrung in NRW. Nichtdestotrotz wird diese Realität in einigen Situationen und Kontexten mit Skepsis betrachtet.
„Die Bedeutung der Familiensprache von zwei- oder mehrsprachig aufwachsenden Kindern wird nach wie vor verkannt“ bemängelt Keltek. „Dass das schriftsprachliche Beherrschen der Herkunfts- sprache, insbesondere literarisches Sprachwissen, grundlegend für das Erlernen des deutschen und anderer Sprachen ist, ist noch immer nicht im Bewusstsein der Öffentlichkeit angelangt.
Außerdem haben mehrere wissenschaftliche Untersuchungen bewiesen, wie der Schulerfolg der Kinder mit internationaler Familiengeschichte sehr stark mit der Förderung der Herkunftssprache zusammenhängt.“ Die Mehrsprachigkeit ist für über 70% der Weltbevölkerung alltäglich. Nichtdes- totrotz wird in vielen Bildungssystemen politisch so argumentiert und gehandelt, als wäre sie ein exotisches und störendes Phänomen, außer wenn Prestigesprachen wie das Englische oder das Französische beteiligt sind.1
Im Koalitionsvertrag der Landesregierung NRW von 2022 wird betont, wie Mehrsprachigkeit in den Landesbehörden gelebt werden solle.2 Darüber hinaus wird die Förderung der natürlichen Zwei- sprachigkeit als Ziel formuliert: „Wir werden die Förderung der Mehrsprachigkeit in der Fortbil- dungsplanung weiter fortsetzen und entwickeln. Den Herkunftssprachlichen Unterricht wollen wir stärken und prüfen, wie wir ihn auch in der Kernlernzeit implementieren können“.3 Tatsächlich wurden z.B. im Rahmen des Masterplans Grundschule ab dem Schuljahr 2021/2022 für das Lande- sprogramm „Grundschulbildung stärken durch HSU – Mehrsprachigkeit unterstützt den Bildungs- erfolg der Kinder“ 70 Stellen zusätzlich zur Verfügung gestellt, sodass insgesamt 1.006 Stellen im HSU bereitstehen.
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1 Allemann-Ghionda, Cristina (2013): Bildung für alle, Diversität und Inklusion: Internationale Perspektiven. Schöningh, S. 67
2 Koalitionsvereinbarung von CDU und GRÜNEN: Zukunftsvertrag für Nordrhein-Westfalen, S. 119. Abrufbar unter: https://gruene-nrw.de/dateien/Zukunftsvertrag_CDU-GRUeNE_Vorder-und-Rueckseite.pdf 3 Idem, S. 58.
„Ich vermisse nach wie vor strukturelle Veränderungen und die flächendeckende und konsequente Umsetzung solcher programmatischen Sätze“ betont Keltek. „Der Herkunftssprachliche Unterricht braucht Überzeugungsarbeit an Schulen und die Verbreitung von Informationen bei der betroffe- nen Schüler- und Elternschaft. Es treten zahlreiche organisatorische Schwierigkeiten vor Ort auf, die den Unterricht erschweren und teilweise sogar verhindern“. Viele Schulen lassen z.B. die Un- terrichtstunden der jeweiligen Familiensprachen nur am Nachmittag stattfinden. Die teilnehmen- den Kinder laufen Gefahr, von den zusätzlichen Stunden überfordert zu werden. Darüber hinaus müssen die Eltern ihre Kinder mehrmals pro Woche quer durch die Stadt fahren, um ihnen die Teilnahme zu ermöglichen. An manchen Schulen fällt sogar der Herkunftssprachliche Unterricht wegen Lehrermangels auf unbestimmte Zeit aus. „Diese Situation widerspricht dem Erlass des Mi- nisteriums für Schule und Bildung NRW, der u.a. eine engere Verknüpfung des Herkunftssprachli- chen Unterrichts mit dem Unterricht in den Fächern befürwortet!4 Der Europäische Tag der Spra- chen solle daran erinnern, dass die Förderung und Wertschätzung des Potenzials des Herkunfts- sprachlichen Unterrichts nicht auf dem Papier stehenbleiben darf, sondern auch praktiziert wer- den muss“ hebt Keltek abschließend hervor.
4 Ministeriums für Schule und Bildung (2021): Herkunftssprachlicher Unterricht, BASS 13 – 61 Nr. 2, Nummer 1.4. Abrufbar unter: https://www.standardsicherung.schulministerium.nrw.de/cms/upload/SFP-HSU/BASS_13- 61__Nr.2_Runderlass_HSU_Nov21.pdf
Fotos; Symbolbilder