Der Klang der Corona-Lockdowns – das Pandemic Silence Project
Den veränderten Klang des Planeten während der Covid-19-Pandemie zu dokumentieren, das steckt hinter der Idee des Pandemic Silence Project. Dafür sammelt Professor Dr. Andreas von Bubnoff Audioaufnahmen aus aller Welt. Wer sich beteiligen möchte, kann seine eigene Aufnahme einreichen.
Kleve/Kamp-Lintfort: Im Anthropozän, dem gegenwärtigen Zeitalter, ist unser Planet von ständiger menschlicher Aktivität geprägt: Autos, Züge, Flugzeuge, Fabriken, Presslufthämmer und viele weitere Geräusch- und Lärmquellen schaffen zusammen eine kontinuierliche „Anthropophonie“, wie es der Klangökologe Bernie Krause nennt.
Nun aber liegt in vielen Ländern aufgrund der Verbreitung des Coronavirus das öffentliche und auch wirtschaftliche Leben nahezu lahm oder ist stark eingeschränkt. Das hatte bereits überraschend sichtbare Konsequenzen: In Indien etwa erlebten viele Menschen zum ersten Mal seit langem ihre Städte mit klarer Luft und konnten so die Berge des Himalaya in weiter Ferne sehen. In Berlin und anderen Städten wurden vermehrt Wildtiere gesichtet. Auch die Bilder menschenleerer Städte in aller Welt sind den meisten von uns inzwischen vertraut.
Dass sich dabei auch der Klang unserer Wohnorte, der Natur, ja des ganzen Planeten radikal zu verändern scheint, wird weit weniger diskutiert. So wird es beispielsweise an vielen Orten deutlich stiller. Was aber bedeutet diese plötzliche Stille für uns? Und was können wir aus dieser Stille lernen über unseren Einfluss auf den Klang zu normalen Zeiten? Professor Dr. Andreas von Bubnoff, Professor für Wissenschaftskommunikation an der Hochschule Rhein-Waal, ist davon überzeugt, dass das globale Herunterfahren der meisten menschlichen Aktivitäten während der Pandemie eine einzigartige Chance ist, solche Fragen zu stellen und nach Antworten zu suchen.
Daher hat er zusammen mit der Webdesignerin Verónica Semeco das Pandemic Silence Project ins Leben gerufen. Es lädt Menschen in aller Welt dazu ein, Klänge aufzunehmen, die sich während der Pandemie-Lockdowns im Vergleich zu früher verändert haben. Das muss nicht unbedingt immer größere Stille bedeuten. Manche Klänge wie etwa der Morgengesang der Vögel sind eventuell sogar besser zu hören, oder einfach anders. Das Endergebnis soll eine kuratierte Sammlung der Klänge sein sowie aus Multimedia-Veröffentlichungen bestehen – unter anderem im Projekt AnthropoScene von RiffReporter sowie beim Journalismusprojekt South East Asia Globe in Phnom Penh, mit dem Professor von Bubnoff kooperiert. Auch eine Zusammenarbeit mit Museen ist angedacht.
Das Pandemic Silence Project läuft bereits seit Anfang April. Die Einreichungen sind schon jetzt faszinierend, sagte Professor von Bubnoff in einem Interview mit dem Deutschlandfunk: Da gibt es etwa die Aufnahme einer Frau aus Indien, die glaubte, bestimmte Vögel seien ausgestorben und jetzt aber habe sie sie wieder gehört; auf einer Aufnahme aus Brooklyn ist der Morgengesang eines Vogels zu hören, untermalt von Geräuschen eines Helikopters und Ambulanzsirenen; und eine Aufnahme aus einem Studierendenwohnheim mit Geschirrklappern und Lachen aus einem Nebenzimmer zeigt, wie eine Frau voller Angst vor Ansteckung in Selbstisolation spült, während ihre Mitstudierenden nebenan sorglos Gäste einladen. „Einige haben uns sogar dafür gedankt, dass sie durch das Projekt wieder gelernt haben zuzuhören“, erklärt Professor von Bubnoff. So kommentierte etwa eine Frau aus den USA ihre Aufnahme, noch nie habe sie „einfach einen Moment innegehalten und zugehört. Ich bin beeindruckt von der Zahl der Vogel- und Naturklänge und hoffe, dass Zuhören in Zukunft zur Gewohnheit wird.“
Das Sammeln geht übrigens weiter. Einen Klang einzureichen ist einfach: Benötigt werden mindestens ungefähr eine halbe Minute Audio der „Klanglandschaft“; ein Foto des Ortes der Klangaufnahme; Ort, Datum und Uhrzeit der Aufnahme; und schließlich noch ein kurzer Kommentar dazu, was zu hören ist und was an den Geräuschen und der Lockdown-Situation ungewöhnlich ist. Eine genaue Anleitung und das Formular zum Hochladen finden sich unter https://www.riffreporter.de/anthropozaen/corona-pandemie-still-pandemic-silence/. „Was die einzureichenden Klänge angeht, sind wir so ziemlich offen für alles“, betont Professor von Bubnoff. „Nur sollte der Kontext klar sein und der Klang eine besondere Bedeutung für die Teilnehmenden haben.“
Bildunterschrift: Köln Hauptbahnhof am Morgen des 20. März 2020
Foto: Andreas von Bubnoff
Hochschule Rhein-Waal
Die Hochschule Rhein-Waal wurde am 1. Mai 2009 gegründet und steht mit ihrem Konzept für eine innovative, interdisziplinäre und internationale Ausbildung junger Menschen. An den Standorten Kleve und Kamp-Lintfort bietet die Hochschule insgesamt 25 Bachelor- und elf Master-Studiengänge an vier Fakultäten – „Technologie und Bionik“, „Life Sciences“, „Gesellschaft und Ökonomie“ und „Kommunikation und Umwelt“ – an. Die Studieninhalte an der Hochschule Rhein-Waal sind wissenschaftlich, anwendungsorientiert und international ausgerichtet. Sie zeichnen sich durch eine hohe Qualität und Praxisnähe in Lehre und Forschung aus. Etwa 75 Prozent der Studiengänge werden in englischer Sprache gelehrt und inzwischen lernen über 7.300 Studierende aus mehr als 120 Nationen gemeinsam in einem Umfeld, das viele gezielt wegen der kulturellen Vielfalt und Internationalität gewählt haben. Dadurch werden den Studierenden ein interkultureller Austausch sowie eine optimale Vorbereitung auf den nationalen und internationalen Arbeitsmarkt eröffnet.