Der erste Kalender über den Bergbau am Niederrhein
Der erste Kalender über den Bergbau am Niederrhein
Moers Der niederrheinische Bergbau ist Geschichte. Aber seine Betriebsgebäude und Fördergerüste prägen bis heute Städte und Landschaften. Und auch die Zahl der Menschen, die eine eigene Erinnerung an die eindrucksvollen Schachtanlagen der Vergangenheit haben, wird immer geringer. André Thissen, selbst ehemaliger Bergmann, hat über viele Jahre eine große Sammlung von Fotos und Dokumenten der alten Zechen zusammengetragen. Eine Auswahl von ihnen präsentiert der Grafschafter Museums- und Geschichtsverein (GMGV) jetzt in dem neuen Kalender „Glückauf 2022 – Bergbau am Niederrhein“.
In kurzen prägnanten Texten werden Fakten zu den jeweiligen Schachtanlagen zusammengetragen. Erstmals in der Geschichte des GMGV sind die Erläuterungen zweisprachig gehalten: auf Deutsch und auf Türkisch. Die türkische Version besorgten Hatice Kardas und Halil Sentürk. „Mit dieser Neuerung tragen wir der Zuwanderungsgeschichte, von den Anfängen des Bergbaus bis zu seinem Ende Rechnung, ohne die der Bergbau nicht denkbar gewesen wäre“, sagt Peter Boschheidgen, Vorsitzender des GMGV. „Zudem ist die zweisprachige Textfassung auch Ausdruck der Tatsache, dass die türkischen Bergleute, ihre Angehörigen und hier verbliebenen Nachkommen bei uns angekommen und Teil unserer Gesellschaft sind.“
Der Kalender ist ab sofort in vielen regionalen Buchhandlungen und Verkaufsstellen zum Preis von 9,95 Euro zu erwerben. Mit dem Erlös werden Projekte des GMGV finanziert.
André Thissen stellte den ersten Bergbaukalender des GMGV zusammen
„Ich schöpfe aus einem riesigen Schatz“
Moers Seit wenigen Tagen ist der erste historische Bergbaukalender des Grafschafter Museums- und Geschichtsvereins (GMGV) auf dem Markt. Autor ist der Moerser André Thissen, der beim GMGV den Arbeitskreis Schacht IV leitet.
Herr Thissen, vor knapp neun Jahren wurde die letzte Zeche am Niederrhein stillgelegt. Jetzt haben Sie erstmals einen Kalender mit Aufnahmen historischer Schachtanlagen der Region vorgelegt. Wie kam es dazu?
„Im Jahr 2004 habe ich mit dem Fotografieren angefangen. Ich habe mich von Anfang an auf Nachtaufnahmen spezialisiert und zunächst Industrieanlagen und Bergwerke im Ruhrgebiet fotografiert. Über Veröffentlichungen meiner Bilder auf einem Fotoportal im Internet habe ich mir das nötige Wissen angeeignet und meine Techniken der Bildbearbeitung erweitert. 2010 kam ein Verlag auf mich zu und brachte mit meinen Bildern den Kalender ,Ruhrgebiet bei Nacht‘ heraus. In den darauffolgenden Jahren erschienen weitere Kalender, und über diesen Umweg wurde Andreas Verfürth, Eigentümer der Galerie Schürmann in Kamp-Lintfort auf mich und meine Bilder aufmerksam und er kuratierte im Jahr 2013 zur ExtraSchicht auf dem Bergwerk West meine Ausstellung in der Lohnhalle.“
Wie kam es zu den ersten Kontakte mit dem GMGV?
„Das war eher Zufall. Im Jahre 2014 fragte mich mein Fotokollege Dirk Thomas, ob ich nicht Lust hätte, mit ihm gemeinsam eine Ausstellung unserer Bilder auf Schacht IV zu machen. Da diese Ausstellung sehr erfolgreich verlief ,wurden in den Jahren 2015 – 2017 Folgeausstellungen mit unseren Bildern auf Schacht IV abgehalten und mit der Zeit wurden so natürlich auch die Kontakte zu den ehemaligen Bergleuten, die damals das Fördermaschinengebäude ehrenamtlich betreuten immer enger. Da ich mich von Beginn meiner Fotografenzeit an auch immer für die Geschichte und Geschichten rund um die von mir fotografierten Objekte interessierte, wurde ich natürlich sofort neugierig, als ich erfahren hatte, dass auf Schacht 4 historische Dokumente und Zeichnungen der Zeche Rheinpreussen gelagert werden.“
Wohl auch weil Sie selbst aus dem Bergbau kommen?
„Klar, aber ich muss sagen, dass ich Schacht IV selbst bis dahin vor allem als Standort der Diskothek PM wahrgenommen hatte und weniger als bergbauhistorisch bedeutendes Gebäude.“
Auf welchen Schachtanlagen haben Sie denn gearbeitet?
„Von 1981 bis 1990 war ich als gelernter Bergmechaniker auf Rheinpreussen Schacht IX und von 1990 bis 2013 auf dem Bergwerk West. Dort war ich zum Schluss einer der letzten Bergleute überhaupt.“
Inwieweit hat Ihnen Ihre Tätigkeit als Bergmann bei Ihren künstlerischen und dokumentarischen Arbeiten geholfen?
„Zunächst einmal hat mir der Werksausweis bei meiner fotografischen Tätigkeit viele Türen zu Schachtanlagen geöffnet. Ich hatte auch über das Intranet Zugriffe auf zahlreiche Unterlagen die mittlerweile ebenfalls als historisch anzusehen sind. Ganz wichtig war für mich aber der Nachlass von meinem Vereinskollegen Dieter Thiel. Er hat mich vor seinem Tod im Jahre 2017 seine gesamte digitale Sammlung bestehend aus montanhistorischen Fotos, Zeichnungen und Dokumenten kopieren lassen. Da kamen etliche Terrabyte zusammen. Das ist für mich ein riesiger Schatz, aus dem ich in Verbindung mit meiner eigenen Sammlung schöpfen kann.“
Nach welchen Kriterien sind Sie bei der Bildauswahl vorgegangen?
„Ich habe mich auf die Schachtanlagen am Niederrhein konzentriert, auf denen tatsächlich Kohle gefördert wurde.“
Aber darunter ist auch eine Aufnahme des Salzbergwerks Borth?
„Stimmt. Viele wissen nicht, dass in den ersten beiden Betriebsjahren in Borth auch Steinkohle gefördert wurde, mit der die Solvay, als Mutterkonzern des Bergwerks, damals sogar das erste Geld verdient hat.“
Ist unter den historischen Aufnahmen des Kalenders auch eine, die Sie selbst gemacht haben?
„Ja, das Dezember-Bild ist von mir. Es zeigt das Bergwerk West. Es entstand am 28.12.2012. An diesem Tag lief dort die Kohlewäsche aus. Die geförderte Kohle musste von da an per LKW zu einer mobilen Wäsche auf dem ehemaligen Kokereigelände transportiert werden. Diesen Moment zeigt mein Bild.“
Vermutlich handelt es sich bei dem Kalender auch um den ersten Bergbaukalender, der zweisprachig auf Deutsch wie auf Türkisch erscheint. Wie kam es dazu?
„Das war eine Idee von meinem Vereinskollegen Hans Gerd Lamers, der Vorstandsmitglied im GMGV ist. Wir wollen so dokumentieren, dass unsere türkischstämmigen Kollegen auch im Ruhestand immer noch Mitglied der großen Bergbaufamilie sind.“
Trotzdem dürfte es nicht einfach gewesen sein, für dieses Thema qualifizierte Übersetzer zu finden. Wie kamen die Kontakte mit Hatice Kardas und Halil Sentürk zustande?
„Das war auch wieder ein glücklicher Zufall. Im Rahmen eines Projekts zur Migrationsgeschichte habe ich bei einer Videokonferenz ganz einfach mal in die Runde gefragt, ob sich jemand vorstellen könnte, bei der Übersetzung der Kalendertexte mitzumachen. Es sollte idealerweise ein ehemaliger Bergmann sein, da in den Texten doch sehr viel bergbauliche Redewendungen verwendet werden. In der Runde fiel sehr schnell der Name Halil Sentürk, der mir selbst als Betriebsrat auf Schacht IX bekannt war und der in Meerbeck immer noch sehr engagiert ist. Mein Vereinskollege Frank Heinrich, Schatzmeister des GMGV, nahm dann Kontakt zu Herrn Sentürk auf und bat ihn, die Kalendertexte ins Türkische zu übersetzen.
Zu Papier brachte dann in tagelanger Schreibarbeit schließlich Hatice Kardas die ihr fernmündlich übersetzten Texte.“
Quelle:Grafschafter Museums- und Geschichtsverein in Moers e.V.